Sagnac, Michelson & Co
Relativität zum "Anfassen"
Rüdiger Rodloff
Hintergrundbild - DLR - Experimental-Laserkreisel - ELSY
Das Sagnac-Experiment - eine Erfolgsgeschichte
Der Sagnac-Effekt bildet die physikalische Grundlage der optischen Kreisel die als Glasfaser- oder Laserkreisel in der autonomen Navigation den klassischen mechanischen Kreisel teilweise abgelöst haben. Darüber hinaus ist das Sagnac-Interferometer als Pendant zum Michelson-Interferometer zu sehen und bildet mit diesem die Grundlage der Relativitätstheorie.
Georges Sagnac, 14.10. 1869 (Perigeux) - 26.2. 1928
Sagnac studierte 1890 bis 1893 Physik an der École normale supérieure und außerdem an der Sorbonne mit dem Lizenziats-Abschluss in Physik. Zu seinen Lehrern gehörten Marcel Brillouin, Gabriel Lippmann, Edmond Bouty und Jules Violle. Danach war er Präparator im Physik-Labor von Bouty. 1900 wurde er promoviert mit einer Dissertation über Röntgenstrahlen (De l'optique des rayons de Röntgen et des rayons secondaires qui en dérivent). Mit Pierre Curie wies er Photoelektronen bei Bestrahlung mit Röntgenstrahlen nach. Ab 1900 war er Maître de conférences an der Universität Lille und ab 1904 Chargé de cours an der Sorbonne, ab 1912 als Professeur adjointe. 1920 wurde er Maître de conférences für theoretische Physik und Himmelsmechanik um den Professoren Aimé Cotton und danach Anatole Leduc, die den entsprechenden Lehrstuhl innehatten, die Vorlesungen abzunehmen (diese selbst unterrichteten weiter allgemeine Physik). 1926 ging er in den Ruhestand und erhielt den Professorentitel ehrenhalber.
Ausgehend von einer Lichtquelle (heutzutage ein Laser) trifft ein Lichtstrahl auf einen Strahlteiler; die Teilstrahlen durchlaufen in entgegengesetzter Richtung die Spiegelanordnung und werden nach einem Umlauf am Strahlteiler wieder ausgekoppelt und zu einem Interferenzstreifenmuster überlagert.
Wichtig für die praktische Anwendung: das Interferenzstreifenmuster verschiebt sich proportional zur Drehgeschwindigkeit und bleibt bei konstanter Drehgeschwindigkeit um einem festen Betrag verschoben, - im Gegensatz zum Laserkreisel bei dem die Interferenzstreifen bei kontanter Drehrate kontinuierlich durchlaufen !
In dieser Einführung geht es nicht um die technische Realisierung optischer Kreisel, sondern um einige Fragen die für die Anwendung des Sagnac-Effektes von grundsätzlicher Bedeutung sind, in der Literatur aber meist zu kurz kommen:
- welchen Einfluß hat die Signalgeschwindigkeit?
Oder anders formuliert: in einer Glasfaser breitet sich das Licht langsamer aus als im Vakuum, oder in der Luft. Hat das einen Einfluß aus den Meßeffekt ?
In einem weiteren Kapitel soll die Frage angesprochen werden, ob der Sagnac-Effekt ein relativistischer Effekt ist, oder ob er mit den Mitteln der klassischen (vorrelativistischen) Physik beschrieben und verstanden werden muss ?
Diese Themen werden uns in den nächsten Kapiteln beschäftigen. Als Einstieg werden wir uns aber zunächst auf die rein klassische Beschreibung konzentrieren, - sozusagen den Standpunkt von Georges Sagnac einnehmen:
Sagnac interessierte sich für die Frage wie sich Licht in rotierenden Systemen verhält; seine Experimente können durchaus als Pendant zum den Michelson-Experimenten gesehen werden, der sich für den Einfluß einer gleichförmigen, geradlinigen Geschwindigkeit auf die Ausbreitung des Lichtes interessierte.
Die Ergebnisse beider Experimente sind im Zusammenhang gesehen ein hervorragendes Indiz für die Richtigkeit der Relativitätstheorie, - aber dazu später mehr!
Auch wenn die Gegner der Relativitätstheorie das Gegenteil behaupten: Im Kapitel "Laufzeiteffekte in relativ bewegten Systemen" werde ich Ihnen zeigen wie sich die Ergebnisse von Michelson und Sagnac problemlos miteinander "versöhnen" lassen und wie sich daraus geradezu spielerisch die Erkenntnis ableiten lässt, dass der Sagnac-Effekt ein rein relativistischer Effekt ist!
Hier die Skizze von Georges Sagnac zu dem von ihm verwendeten "Ring"-Interferometer:
Der Fairness halber sollte erwähnt werden, dass ein ähnliches Experiment von Franz Harress zwischen 1909 und 1911 - also noch vor Sagnac - durchgeführt wurde. Seine Messergebnisse wurden aber erst 1920 von Max von Laue richtig interpretiert. (mehr)
Der Versuchsaufbau den Sagnac für seine Untersuchungen benutzte - insbeondere die Skizze dazu (oben) - ist etwas unübersichtlich; deshalb hier eine (hoffentlich) etwas einfachere Prinzipskizze:
Hier noch einmal eine etwas andere Darstellung mit einer kreisrunden Lichtleiterschleife, - in dieser Darstellung lässt sich anschliessend leichter rechnen !!!
In dieser Anordnung durchläuft das Licht (hier dargestellt durch eine kleine blaue Kugel) zunächst einen teildurchlässigen Spiegel, trifft dann auf einen Strahlteiler; dort wird es aufgeteilt (gelbe und grüne Kugel) läuft durch das kreisrunde Lichtleitersystem, wird nach einem Umlauf wieder ausgerkoppelt und schliesslich am ersten teildurchlässigen Spiegel überlagert.
Wenn alles richtig eingestellt ist, haben die beiden Lichtstrahlen nach einem Umlauf exakt den gleichen Laufweg hinter sich.
Uns interessiert nun die Frage, ob durch eine Drehbewegung eine Änderung des Laufweges zwischen den gegensinnig umlaufenden Lichtwellenzügen hervorgerufen wird.
In der Animation könnte das so aussehen:
Um es gleich vorwegzunehmen - diesmal stimmt die Animation, bzw. die Erwartung der Physiker mit dem Ergebnis des Experimentes überein !
Sie erinnern sich ? Eine ähnliche Animation hat uns beim Michelson-Interferometer schon einmal im Stich gelassen !
Um die Angelegenheit für die Rechnung etwas einfacher zu machen, nehmen wir zunächst an, dass das Lichtführungssystem (Lichtleitersystem!) kreisrund ist und der Drehpunkt exakt im Zentrum liegt.
Das Gerät rotiert mit der Winkelgeschwindigkeit , hat den Radius r und das Lichtleitersystem hat deshalb die Umfangsgeschwindigkeit:
In diesem ringörmigen Lichtführungssystem lassen wir nun einen Lichtwellenzug einmal in Drehrichtung und einmal gegen die Drehrichtung umlaufen.
Lichwellenzug in Drehrichtung
Lichwellenzug gegen die Drehrichtung
... und jetzt läuft die Rechnung ganz ähnlich wie bei Michelson-Interferometer: Der Lichtwellenzug durchläuft den ringförmigen Lichtleiter mit der Geschwindigkeit c. Während der Wellenzug das Lichtleitersystem einmal in Drehrichtung umrundet (linke Skizze), hat sich das Lichtleitersystem um die Strecke v.dt+ weiterbewegt, d.h. er muß die Gesamtstrecke
zurücklegen. Daraus ergibt sich für die Laufzeit des Lichtwellenzuges in Drehrichtung dt+ :
Dem entgegengesetzt umlaufenden Wellenzug (rechte Skizze) bewegt sich die Anordnung entgegen; während der Umlaufzeit dt- hat sich das Lichtleitersystem um die Strecke v . dt- bewegt; der gesamte Laufweg verkürzt sich von L auf :
Daraus folgt für die Laufzeit des Lichtwellenzuges in entgegengesetzter Richtung:
Bereits an dieser Stelle wird die enge Verwandtschaft zwischen dem Michelson- und dem Sagnac-Interferometer deutlich (zumindest aus der Sicht der klassischen Physik !); die Ausdrücke für die Laufzeiten dt+ und dt- im Sagnac-Interferometern und in dem Arm des Michelson-Interferometers, das parallel zu der zu messenden Geschwindigkeit liegt, sind vollkommen identisch !
Beim Michelson-Interferometer mußten wir die beiden Laufzeiten ( Hin- und Rückweg) addieren um sie mit der Laufzeit im zweiten dazu senkrechten Arm vergleichen zu können, - beim Sagnac-Interferometer können wir die Laufzeiten der beiden gegensinnig umlaufenden Wellenzüge direkt mit einander vergleichen und bilden deshalb die Differenz :
mit: und:
Zwischenbemerkung !
Sie erinnern sich ? Beim Michelson-Interferometer mußten wir mit einem Laufzeitunterschied von
fertig werden. Da quaratisch auftritt, spricht man beim Michelson-Interferometer von einem Effekt 2.Ordnung. Im Vergleich dazu ist der Sagnac-Effekt ein Effekt 1. Ordnung!
ist ein ziemlich kleiner Wert und aus dem Vergleich der Laufzeitunterschiede für das Sagnac- und das Michelson-Interferometer wird deutlich, wo das Problem bei der Auswertung des Messergebnisse beim MIchelson-Interferometer liegt !
Mit c = 300 000 km/sek (Lichtgeschwindigkeit) und v = 30 km/sek (Geschwindigkeit der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne) ergibt sich
= 10 exp-4 !
Zur Auswertung des Laufzeiteffektes beim Sagnac-Interferometer verfährt man ganz ähnlich wie beim Michelson-Interferometer:
- nach einem Umlauf koppelt man die Lichtwellenzüge aus und überlagert sie; das dabei entstehende Interferenzstreifenmuster zeigt die Laufzeitdifferenz in Form einer Laufwegs- bzw. Phasenverschiebung an.
Unter Berücksichtigung von und sowie ergibt sich aus der obigen Beziehung für die Laufzeitdifferenz TSagnac :
wenn man nun noch den Zusammenhang zwischen Lichtgeschwindigkeit, Frequenz und Wellenlänge , berücksichtigt, dann erhält man für die Phasenverschiebung :
d.h. wenn das Sagnac-Interferometer in eine Drehwegung versetzt wird, dann verschiebt sich das Interferenzstreifenmuster um den festen Wert pro-portional zu Drehrate .
Für die "Navigationsexperten" unter Ihnen:
Das Sagnac-Interferometer, z.B. in der Form eines Glasfaserkreisels liefert eine Information über die Drehgeschwindigkeit. Wenn man am Drehwinkel interessiert ist muß dieses Signal noch über die Zeit integriert werden!
Verwendet man den Sagnac-Effekt in einem optischen Ringresonator - das Ding nennt sich dann "Laserkreisel" - dann erhält man ein Ausgangssignal proportional zum Drehwinkel, d.h. jeder durchlaufende Interferenzstreifen entspricht einem Winkelinkrement - das wird in der einführenden Literatur oft verwechselt! (Aber der Laserkreisel ist hier nicht unser Thema.)
Lassen Sie uns ein Beispiel berechnen:
Fläche des Ringinterfrometers F = 1 qm
Wellenlänge des verwendeten Lichtes: = 633 nanometer = 0,633 x 10-6 m
Lichtgeschwindigkeit c = 3 x 10 +8 m/sek
Drehgeschwindigkeit = 1360 grad/sek (fast 4 Umdrehungen pro Sekunde !)
... ergibt für die Phasenverschiebung ziemlich genau 180 grad, d.h. das Interferenzstreifenmuster verschiebt sich um eine halbe Streifenbreite von hell nach dunkel.
Für Drehgeschwindigkeiten die für die Navigation von Interesse wären, also z.B. die Erddrehrate mit 15 grad/h wäre bei den oben genannten Abmessungen eine Phasenverschiebung von 8,75x10-5o grad. zu erwarten; d.h. für solche Anwendungen müsste die Interferometerfläche F noch deutlich größer gemacht werden, was mit modernen Lichtleitfasern, aufgewickelt auf einer Spule, möglich sein dürfte.
Uff das war etwas "mühsam", aber eigentlich trivial - oder ?
Aber wirklich bemerkenswert an diesem Ergebnis ist :
--> im Gegensatz zum Michelson-Interferometer tut uns das Sagnac-Interferometer den Gefallen, dass das Experiment unsere "Trivial-Rechnung" exakt bestätigt !
Ein naheliegendes Argument zur Eklärung für die Diskrepanz der Ergebnisse wäre, daß es sich beim Sagnacversuch (Rotation) um eine beschleunuigte Bewegung, beim Michelson-Experiment um eine nicht beschleunigte, gleichförmige Bewegung handelt. A. Sommerfeld bemerkt dazu (Vorl. über theoretische Physik, Bd.IV, S.67), "Wenn man beachtet, dass es sich bei den Versuchen (von Sagnac) nur um Geschwindigkeiten v<<c und nur um Effekte von erster Ordnung in v/c handelt, kann man ... einfach klassisch rechnen."
Der Vollständigkeit halber muß erwähnt werden, dass Michelson in seinen ersten Experimenten tatsächlich einen kleinen Effekt beobachtet hat, der allerdings 20mal kleiner war als erwartet.
Bei den späteren unzähligen Wiederholungen des Experimentes konnte man diesen Resteffekt immer weiter reduzieren, so dass es sich wohl doch nur um einen Messfehler handelt. ( mehr)
Aber selbst wenn man - wie die Relativitätskritiker - annimmt, dass es sich dabei nicht um einem Messfehler handelt, dann muß immerhin erklärt werden, wieso das Meßergebnis so deutlich von der Rechnung abweicht.
Ich weiß nicht wie es Ihnen geht? - Ich habe bei der Betrachtung dieser Resultate ein ganz schlechtes Gefühl !
Wir haben sowohl beim Michelson-Experiment als auch beim Sagnac-Experiment Signallaufzeiten berechnet.
Im ersten Fall wurde die Signallaufstrecke geradlinig und gleichförmig mit der Geschwindigkeit v bewegt, im zweiten Fall handelte es sich um die Umfangsgeschwindigkeit v eines rotierenden Systems. In beiden Fällen handelte sich sich um eine Art "Wettrennen" zwischen dem Signal (=Lichtwellenzug) und einem bewegten Ziel !
Die Rechnungen dazu waren in beiden Fällen nahezu identisch. Trotzdem sind die experimentellen Ergebnisse so unterschiedlich wie nur möglich - im ersten Fall ein Nullresultat, im zweiten Fall vollständige Übereinstimmung zwischen Rechnung und Experiment !
Da bleibt nur eine Schlussfolgerung: Wir haben bei unseren Rechnungen etwas Fundamentales übersehen, - denn wenn unsere Rechnung nicht mit dem Ergebnis des Michelson-Experiment übereinstimmt, dann muß auch die Rechnung zum Sagnac-Experiment falsch sein, denn unser Grundansatz ist hier genau der gleiche !
Ich weiß, - die Gegner der Relativitätstheorie argumentieren genau anders herum, nach dem Motto : was beim Sagnac-Experiment zum richtigen Ergebnis führt, kann beim Michelson-Experiment nicht falsch sein ! (Hier geht's zu den Relativitätskritikern.)
Ich glaube wir müssen das ganze Thema noch einmal völlig neu aufrollen und wir sollten dabei sehr genau auf die Randbedingungen achten !
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: ich habe kein Interesse mich in den Streit um die Relativitätstheorie einzumischen. Ich möchte lediglich eine "saubere" Beschreibung des Sagnac-Effektes abliefern und einige damit verbundene Fragen untersuchen, deren Beantwortung mit der traditionellen, bis hierher vorgeführten Rechnung kaum möglich ist:
Z.B. ist der Sagnac-Effekt:
- unabhängig von der Signalgeschwindigkeit ?
und
- ein rein relativistischer Effekt ?
Insbesondere der negative Ausgang des Michelson-Experimentes hat die Physiker zu Beginn des letzten Jahrhunderts sehr beschäftigt und zu einer Menge von "Pseudoerklärungen" geführt !
Im nächsten Kapitel (Problem) wollen wir zunächst ganz aus der Sicht der vorrelativistischen Physik die Frage untersuchen, wie man die unterschiedlichen Ergebnisse des Michelson- und des Sagnac-Experimentes erklären könnte - was natürlich (!) nicht gelingt und im darauf folgenden Kapitel (Lösung) werden wir die Sache dann endgültig aufklären.
Also los !