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Welche Rolle spielt die "Anschaulichkeit" in der Physik ?

Das sind die Kernthesen der speziellen Relativitätstheorie und die sind letzten Endes nichts anderes als eine Konsequenz aus dem gescheiterten Michelson-Experiment.

Die Frage, die in diese Überschrift steckt, kommt Ihnen seltsam vor ?

 

Ja, mir auch !

 

Ich will mit diesem Nachwort versuchen Sie zu trösten, wenn Ihnen das eine oder andere Detail in der Geschichte von Sagnac & Co vollkommen unverständlich erscheint

 

Ich hoffe Sie teilen meine Meinung, daß die Anforderungen an die mathematischen Fähigkeiten in den zurückliegenden Kapiteln nicht allzu hoch waren. Die Ausdrücke waren  teilweise  vielleicht etwas "sperrig", - die Grundrechenarten, etwas Tigonometrie und die allerersten Grundbegriffe aus der Integralrechnung reichten zum Verständnis aber vollkommen aus. Die Anforderungen an unser Vorstellungsvermögen im Zusammenhang  z.B. mit der Lichtausbreitung in untereschiedlichen Systemen waren allerdings enorm.

 

Worum ging es ?

 

Was waren die Kernthesen unserer Betrachtungen über das MIchelson- und  Sagnac-Experiment ?

 

1. In allen gleichförmig gegeneinander bewegten Systemen gelten durchweg die gleichen Naturgesetze.

 

Na ich denke damit können Sie leben, oder ?
Aber jetzt kommt's:

 

2. Die Lichtgeschwindigkeit ist in jedem Bezugssystem eine Konstante.

Das liest sich zwar ziemlich harmlos, ist aber eine krasse Zumutung an unsere Alltagserfahrung.

Besagt diese These doch nichts anderes, als das ein Lichtstrahl immer mit derselben Geschwindigkeit bei Ihnen eintrifft, egal ob Sie sich bewegen oder still stehen,    egal ob er vom Scheinwerfer eines fahrenden Autos, oder von der Taschenlampe eines stillstehenden Begleiters stammt !

Wenn Sie von einem fahrenden Auto mit Steinen beworfen werden, dann setzt sich die Geschwindigkeit der Steine zusammen aus der Geschwindigkeit des Autos + der Abwurfgeschwindigkeit des Steins vom Auto, - das ist klar !

Für einen Lichtstrahl gilt das nicht, dessen Geschwindigkeit bleibt völlig unberührt von der Sendergeschwindigkeit

Das allein wäre nicht allzu überraschend, das gilt nämlich auch für den Schall, sonst könnte ein Überschalljäger niemals seine eigene Schallwelle überholen, ... aber auch für den Empfänger ist die Lichtgeschwindigkeit immer die gleiche, egal ob er sich dem Lichtstrahl entgegenbewegt, stillsteht oder wegbewegt.

Ueberschalljaeger-FA-18.jpg

Überschalljäger FA-18  überholt seine eigene Schallwelle.

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Lenard.jpg

Philipp Lenard, 1862 - 1947, Initiator einer arischen Physik.

"grundsätzlich" bedeutet - es gibt auch Ausnahmen ;-)

Und weil das alles so unvorstellbar ist, hat  Philipp Lenard dazu auch seine ganz eigene Meinung - er hält nämlich alles für Blödsinn was nach seiner Ansicht nicht "anschaulich" ist und fordert, das physikalische Modelle grundsätzlich anschaulich sein müssen.

 

Und das halte ich nun für Blödsinn! 
Aber wer bin ich im Vergleich zu einem Nobelpreisträger?

 

Philipp Lenard hat den Nobelpreis 1905 für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Kathodenstrahlen erhalten, - ist also nicht "irgendwer". Da er außerdem mit dieser Meinung nicht allein steht und auch heute noch Anhänger hat (mehr dazu hier und hier und hier !!) sollte man ein paar Worte zum Thema "Anschaulichkeit in der Physik" verlieren.

 

Wann empfinden wir eine Erklärung, eine Theorie, ein Gedankenexperiment als anschaulich?

 

Ich würde sagen - wenn wir damit eine Alltagserfahrung verbinden können, oder (um es etwas vornehmer auszudrücken) - die Anschauung bezieht sich auf den sinnlich-rezeptiven Teil einer Erkenntnis (Immanuel Kant)

 

Und jetzt meine Frage an Herrn Lenard, bzw. an seine Jünger:

Kann eine neu gewonnene Erkenntnis anschaulich sein?

Kann sie von einer Alltagserfahrung gestützt werden, oder im Sinne von Kant sinnlich erfahrbar sein ?

Antwort - nein, kann sie nicht !

 

Wäre das so, würde Sie einer Alltagserfahrung entsprechen, dann wäre die Erkenntnis ja nicht neu ! Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass neue physikalische Erkenntnisse grundsätzlich  nicht anschaulich sein können!

 

Zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung waren auch diejenigen Erkenntnisse nicht "anschaulich", die uns heute in "Fleisch und Blut" übergegangen sind.

 

Beispiele gefällig ?

kopernikus.jpg

  Nikolaus Kopernikus

galilei.jpg

Galileo Galilei

Martin Luther -  "Erfinder" des  Relativitätsprinzips !

Die Erde kreist um die Sonne !

Als Kopernikus (1473 bis 1543), Galilei (1564-1642) und einige andere versuchen das geozentrische Welltbild durch ein heliozentrisches zu ersetzen, hatten die Zeitgenossen erhebliche Probleme damit. "Anschaulich" erschien ihnen das nicht, im Gegenteil ! Konnte man nicht jeden Tag sehen, wie die Sonne im Osten aufgeht, die Erde umkreist und im Westen untergeht ?

 

Marthin Luther (1483 - 1546) schreibt z.B. darüber : (Link zur Wikipediaseite):

„Es ist die Rede von einem neuen Astrologen, der beweisen möchte, dass die Erde sich anstelle des Himmels, der Sonne und des Mondes bewegt, als ob jemand in einem fahrenden Wagen oder Schiff denken könnte, dass er stehen bleibt, während die Erde und die Bäume sich bewegen. .... " *)

 

Erste spontane Reaktion auf diese Anmerkung von Luther (aus heutiger Sicht):

 

Donnerwetter, - das ist aber dicht an der Wahrheit !!

Wenn Luther diesen Gedanken zuende gedacht hätte, dann wäre er fast 100 Jahre vor Galilei und fast 150 Jahre vor Newton möglicherweise zum Vater des Relativitätsprinzips geworden, denn das ist ja gerade die Kernaussage dieses Prinzips: man kann tatsächlich nicht entscheiden ob das "Schiff" oder die "Bäume" sich bewegen. Dieser Gedanke war für Luther und seine Zeitgenossen aber derartig fremd und unanschaulich (!) dass sie bereit waren die Urheber dieser Überlegungen auf den Scheiterhaufen zu bringen !

 

Das bringt uns zum nächsten Beispiel:

IsaacNewton.jpg

Isaak Newton (1642-1727)

Also gut: den Begriff "Relativitätsprinzip" haben - so weit ich weiß - Galilei und Newton noch nicht benutzt!

Sie sollten wirklich mal einen Blick in den "Dialog" von Galilei werfen! ( Hier der Link zu einer deutschen Übersetzung.) Es ist wirklich eindrucksvoll mit welchem Aufwand an Beispielen und Vergleichen, mit zwingender Logik und ohne jede Mathematik Galilei das Verhalten von Körperen in bewegten Systemen beschreibt.

Es existierte auch die Ansicht, dass ein Stein, der von der Mastspitze eines fahrenden Schiffes fällt - je nach Geschwindigkeit des Schiffes - mit mehr oder weniger Abstand zum Mast aufs Schiffsdeck fällt - und wenn die Erde sich bewegt, dann müßte genau dasselbe mit einem Stein passieren wenn man ihn z.B. von einem Turm herabfallen läßt !

Das Relativitätsprinzip !


In seinem Werk "Philosophia Naturalis Principia Mathematica" schreibt Newton:

 

"Die Bewegungen von Körpern in einem gegebenen Raum sind untereinander die gleichen, ob sich der Raum in Ruhe befindet oder ob er sich konstant auf einer geraden Linie bewegt." (Link zur Wikipediaseite.)

 

Einstein hat das später etwas allgemeingültiger formuliert:

"In allen gleichförmig gegeneinander bewegten Systemen gelten durchweg die gleichen Naturgesetze."

 

.... und daraus folgt im Umkehrschluß, dass der gleichförmige Bewegungszustand eines Systems nicht bestimmt werden kann, eben weil die Naturgesetze in allen diesen Systemen exakt identisch sind !


Versetzen Sie sich doch bitte 'mal in die Vorstellungswelt der Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts:

Da gibt es einige Spinner die behaupten die Erde läuft um die Sonne - obwohl man doch täglich das Gegenteil am Himmel beobachten kann ! - und nun kommen diese Schlaumeier auch noch daher und reden von einem Relativitätsprinzip und behaupten man könne nicht unterscheiden ob sich das Schiff im Wasser oder die Bäume am Ufer bewegen ! Also anschaulich ist etwas anderes !

Welche Probleme die Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts mit diesem Prinzip hatten, können Sie wunderbar nachempfinden, wenn Sie 'mal in Galileis berühmten "Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme" blättern.

 

Nach der damals herrschenden Vorstellung müßte die Erde, wenn sie sich tatsächlich mit großer Geschwindigkeit (30 km/sek) um die Sonne bewegt, ihre Lufthülle zurücklassen und ein Vogel in der Luft müßte hinter der schnell dahin eilenden Erde zurückbleiben.

Galileos Skizze zum Relativitätsprinzip

So ungefähr stellten sich Galileis Zeitgenossen den Fall eines Steines von einem Turm vor:

Wenn die Erde sich bewegt müßte der Stein in einiger Entferrnung vom Fuß des Turmes aufschlagen. Da der Stein aber direkt neben den Fuß desTurms ankommt, kann sich die Erde auch nicht bewegen!

Jetzt beweisen Sie 'mal das diese Argumentation falsch ist !

Galileo Galilei, 1564 - 1642

Eben weil das Experiment gerade in diesem Fall sehr eine schneller Klärung hätte bringen können, beklagt Galilei sich über die Ignoranz der "Autoritäten", weil sie (Zitat):

".... sich auf ihre Vorgänger verlassen, ohne dass man jemals auf einen käme, der den Versuch wirklich angestellt hätte. Denn jeder, der das tut, wird finden, dass sich gerade das Gegenteil von dem ergibt, was man geschrieben liest. Man wird nämlich zu dem Ergebnis kommen, dass der Stein stets an derselben Stelle des Schiffes niederfällt, mag dieses feststehen oder sich mit beliebiger Geschwindigkeit bewegen. ...! (Seite 151 im "Dialog")

 

In seinem berühmten Schiffsbeispiel macht er deutlich, das es (ohne Kontakt zur Umgebung) keine Möglichkeit gibt festzustellen (Zitat) "... ob das Schiff fährt oder stille steht ..."(Seite 197 im "Dialog")

Galileis Abstraktionsleistung bei der Formulierung des Relativitätsprinzips, kann vor dem Hintergrund des physikalischen Verständnisses seiner Zeit gar nicht hoch genung eingeschätzt werden. Obwohl er sich in seinen Schriften um handgreifliche, "anschauliche" Beispiele bemühte, - Beispiele die uns aus heutiger Sicht geradezu trivial erscheinen -, hat er wohl die Bereitschaft (oder die Fähigkeit ?) seiner Zeitgenossen den "anschaulichen" Argumenten zu folgen gewaltig überfordert.

 

Die "Anschauung", - oder sollte man besser sagen: die vorgefasste Meinung - , war für die Durchsetzung des Relativitätsprinzips äußerst "hinderlich" !

Pierre de Fermat, 1607-1665

Ein Lichtstrahl verläuft immer auf dem zeitlich kürzesten Weg !


 

Pierre de Fermat (1607-1665) berühmtes Prinzip für die Lichtausbreitung hat - in seiner populären Form - den Charme, dass man glaubt das Verhalten des Lichtes gut "nachempfinden" oder "verstehen" zu können.

 

Kürzeste Zeit ? -
Das leuchtet auf Anhieb ein.
Das würde ich auch so machen !
Ziemlich schlau dieser Lichtstrahl!

Fermat's Prinzip ist ein gutes Beispiel dafür, daß der Versuch eine offensichtlich anschauliche Beschreibung sogar in die Irre führen kann, denn natürlich hat der Lichtstrahl keine Ahnung vom "kürzeste Weg" und tatsächlich verläuft er auch nicht auf demselben, sondern auf dem Pfad auf dem die Änderung (Variation) der optischen Weglänge im Vergleich zu benachbarten Pfaden am kleinsten ist. (Das ist in der Regel auch der kürzeste!)

Wenn man das Licht als elektromagnetische Welle betrachtet, - davon hatte Fermat aber noch keine Ahnung - dann wird dieses Variationsprinzip sehr schnell verständlich: Überall dort wo die Laufwegunterschiede (Phasenunterschied) zwischen benachbarten Lichwellenzügen sehr klein oder sogar Null sind, können sich die Lichtwellen konstruktiv überlagern und damit verstärken. Überall dort, wo die Laufwegsunterschiede (Phasenunterschiede) groß sind löschen Sie sich gegenseitig aus !

Tangentialgeschwindigkeit in einem rotierenden System.

Es gibt aber auch Beispiele aus der ganz normalen "Alltagsmechanik" , die, wenn man sie kritisch betrachtet, durchaus nicht "anschaulich" sind.

Ein Beispiel hatten wir im Kapitel "Warum gibt es keinen Michelson-Effekt?" schon angesprochen - Sie erinnern sich:

 

---> Sie stehen im Zentrum einer rotierenden Scheibe; am Rand der Scheibe sitzt eine Katze und obwohl Sie keinerlei Bewegung zwischen sich und der Katze sehen, würden Sie mir sicher zustimmen, dass die Katze sich gegenüber Ihrer Position in der Mitte mit der (Tangential-) Geschwindigkeit bewegt.

...  wenn Sie Ihre Position  (Pfeil im Zentrum) auf der Scheibe verändern, etwa so  ... dann hat sich auch die Relativgeschwindigkei zwischen Ihnen und der Katze verändert ! (In der Skizze links hat sie sich annähernd verdoppelt!

"Sehen" können Sie davon nichts!

Auch wenn Sie als technisch bzw. physikalisch interesssierter Mensch wissen, dass die Fliehkräfte die Sie spüren auf die Rotation zurückzuführen ist und wenn Sie sich darüber hinaus im klaren sind, dass sich in einem rotierenden System alle Punkte gegeneinander in einer Relativbewegung befinden, - aber seien Sie ehrlich: "sehen" können Sie nichts davon und von "anschaulich" kann auch keine Rede sein !

Albert Einstein, 1879-1955

"Anschaulichkeit" ist für die  Beurteilung einer physikalischen Idee das falsche Werkzeug. Neuartige Ideen können nicht anschaulich sein, denn sonst wären sie nicht neu !

Fazit

 

Zum Abschluß dieser kurzen Betrachtung zum Thema "Anschaulichkeit" in der Physik möchte ich gern die Antwort von Albert Einstein auf die Vorhaltungen von Phillip Lenard zur fehlenden Anschaulichkeit in der Relativitätstheorie zitieren:


Albert Einstein (1879 - 1955)

Einsteins Antwort:

"... die Inhalte der „Anschaulichkeit“ oder des „gesunden Menschenverstandes“ sind historisch gewachsen und veränderlich, so dass sie nicht als Kriterien für die Richtigkeit einer Theorie verwendet werden können." (aus Wikipedia: "Kritik an der Relativitätstheorie")

 

Das trifft nach meiner Ansicht den Nagel auf den Kopf !

 

Ich versuche es trotzdem noch 'mal mit meinen Worten:

Oftmals ist das was uns "anschaulich" erscheint nichts weiter als die reine Gewöhnung und  was "unanschaulich" und zu theoretisch daherkommt, könnte in ein paar Jahrzehnten mit einer ganz konkreten Vorstellung verknüpft sein ! Beispiele dafür gibt es genug! (s.o.)

 

Wir reden hier von Modellen, die uns helfen die experimentellen Ergebnisse zu beschreiben. In der Physik handelt es sich dabei in der Regel um mathematische Modelle ....:

 

(Zitat) Häufig wird aber die Modellbildung mit Anschaulichkeit verwechselt. Hat Anschauung nicht eigentlich etwas mit dem Sehen (Hören, Fühlen) zu tun ? Physikalische Erkenntnis gewinnen, heißt letztlich das Aufstellen einere physikalischen Theorie, sich Bilder, gedankliche Vorstellungen, Modelle der Naturerscheinungen und -vorgänge zu machen. .... Die Erklärungsversuche physikalischer Ursachen sind nicht mit Anschaulichkeit zu verwechseln. ... (Frank Kameier)

 

Die Geschichte der Physik besteht aus einer ständigen Anpassung der Modelle an die experimentellen Ergebnisse und auch wenn die Erfinder dieser Modelle glauben, wieder ein Stück "Wahrheit" entdeckt zu haben - es ist doch nur ein weiterer Schatten an der Wand von Platons Höhle- (s.d. das Höhlengleichnis. )

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